Boyhood

Mehr als ein halbes Jahr nach dem ursprünglichen Start und mit jeder Menge Oscar-Buzz kommt Richard Linklaters beeindruckendes Erwachsenwerden-Drama Boyhood noch einmal in die heimischen Kinos. Grund genug nicht nur für viele, den Film noch nachzuholen, sondern auch für uns, endlich mit der längst überfälligen Rezension herauszurücken, nachdem wir den Film nur im Podcast besprochen haben (mehrmals).

Die Story, sofern man von einer sprechen kann, ist denkbar simpel. Über 12 Jahre hinweg beobachten wir den Jungen Mason (Ellar Coltrane) bei seinem nicht unkomplizierten Erwachsenwerden, geprägt von seinen getrennt lebenden Eltern (Patricia Arquette, Ethan Hawke) und auf allen Etappen begleitet von seiner Schwester Samantha (Lorelei Linklater, die Tochter des Regisseurs).

Sympathievorsprung unausweichlich

Boyhood all 12 Years
Quelle: NYTimes

Man kommt in einer Diksussion über Boyhood nicht darum herum, über die beeindruckende Hintergrundgeschichte des Filmes zu reden. Zwölf Jahre lang versammelte Richard Linklater seine kleine Crew jeden Sommer zu einem kurzen Dreh, um Masons Geschichte möglichst authentisch darstellen zu können. Abgeschlossen wurde der Film naturgemäß im Schneideraum, wo jahrelang gesammeltes Material zu einem funktionierendem Ganzen zusammengetragen wurde.

Es gibt also schon riesige Vorschusslorbeeren, die Boyhood im Herzen jedes Filmfans im Vorhinein für seine ambitionierte, kreative und mutige Produktion erhält. Aber diese Idee als reines Gimmick abzutun – wie dies leider öfters geschieht – wäre absolut kurzsichtig, profitiert doch der Film als solches ganz offensichtlich von dieser Herangehensweise. Nicht nur eröffnet sie Linklater die Möglichkeit, das Älterwerden seiner ProtagonistInnen ohne auffällige Zeitsprünge und dem Verwenden mehrerer SchauspielerInnen für die selbe Rolle darzustellen, sondern unterstützt sie auch im besonderen Maße die lose Erzählweise des Filmes. Ohne mit Pop Culture-Symbolen aufdringlich werden zu müssen, ist das Vergehen von Zeit ganz natürlich festzustellen, und auch die Vorstellung, Linklater habe seine größer werdenden Erfahrungen als Vater in die Geschichte einfließen lassen, ist nicht weit hergeholt.

Boyhood 3

Die gewählten Episoden, die streng chronologisch erzählt werden, bringen die Geschichte auf sehr unterschiedliche Art und Weise voran. Zu Beginn wird beispielsweise die Patchwork-Konstellation etabliert, wobei die Mutter als Alleinerziehende fungiert, während der Vater abseits des Familienhauses versucht, seinen Beziehung zu den Kindern aufrechtzuerhalten. Andere Abschnitte aber fokussieren sich auf vermeintlich banale Alltagserlebnisse, dabei handelt es sich etwa um stotternde Vater-Sohn-Gespräche oder die wütende Reaktion des Stiefvaters, wenn Mason angetrunken von einer Party zurückkehrt.

Kleiner Bogen, große Wirkung

Boyhood 2

Allgemein gesprochen darf der Titel mit Sicherheit nicht zu wortwörtlich genommen werden, denn wenngleich Mason die klare Hauptfigur darstellt, gibt es im Film eine Vielzahl an sehr genau gezeichneten Charakteren. Es wären nur kleine Änderungen notwendig, um Girlhood oder Motherhood als Überschrift zu wählen. Ebenfalls hervorzuheben ist der bewusst abstrakt angelegte Storybogen. In Form der sich immer wieder in unglückliche Beziehungen stürzenden Mutter gibt es zwar ein zeitweise vorherrschendes Thema, im Grunde aber wählt Linklater in seiner Geschichte keine außergewöhnlichen Begebenheiten. So kann man am Ende auch kaum von einem Familienepos sprechen, vielmehr sind es recht häufig vorkommende Entwicklungen, die hier auf sehr authentische Weise abgehandelt werden.

Gerade in einer ersten Reaktion, auch auf das nach knapp drei Stunden Laufzeit sehr antiklimatische Ende, neigen viele wohl dazu, Boyhood als wenig spektakulär, vielleicht überbewertet zu bezeichnen. Ein genauerer Blick aber zeigt, dass seine Einzigartigkeit nicht nur in der Produktionsgeschichte, sondern auch in der pragmatischen aber positiven Lebenseinstellung sowie der detaillierten Schönheit der gesammelten Augenblicke begraben liegt. Natürlich gibt es kaum emotionale Explosionen, weder bei den Figuren noch beim Zuseher, aber als Gesamtes wird man, die entsprechende Offenheit vorausgesetzt, dieses Filmerlebnis nur sehr schwer wieder loswerden.

Fazit (Michael):

Film: Boyhood
Rating:

User3.Rating.4.Great_low_res
Sehr Gut (4 / 5)

Unterm Strich kann man diesen Film nur ganz dringend empfehlen und zwar nicht unbedingt, weil die Produktionsgeschichte so einzigartig, vielleicht ein kleines Stück weit sogar wegweisend ist. Es liegt auch nicht daran, dass man angesichts der kommenden Oscar-Verleihung sein saisonales cineastisches Allgemeinwissen ein bisschen verbessern sollte. Der Grund weshalb man Boyhood fast gesehen haben muss, ist schlichtweg jener, dass es ein großartiger, wunderschöner Film ist.

Michael Verfasst von:

Autor, Editor, Public Relations Michael ist der Arthouse Hipster des Teams, dessen Korrektheit und ruhige Art dafür sorgen, dass die Diskussionen immer fair bleiben und Beleidigungen nur zulässt, wenn sie mit Fakten belegt werden können.

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