Viennale-Fazit

Philosophische Filmfestival-Fragen und ihre patscherten Antworten – ein letzter Viennale-Bericht.

“Und, wie war die Viennale heuer?” ist mit Sicherheit jene Frage, die ich in den letzten Tagen am öftesten zu hören bekommen habe. Weil ich ein guter Mensch bin oder zumindest alles gebe, um einer zu sein, habe ich die Verfasser eben dieser Frage mit philosophischen Auswüchsen verschont. Sie bekamen dann das zu hören, was sie hören wollten: “Eh super.”

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Gewissermaßen ist das auch die richtige Antwort, denn die Viennale ist ja “eh super” und zwar jedes Jahr. Ein derart großes Filmfestival, das sich mit so viel Stolz als Publikumsfestival definiert, findet man auf der ganzen Welt nur sehr sehr selten. Ganz gleich ob man sich jeden Herbst nur einmal ins Gartenbaukino bequemt oder aber das Programm auswendig lernt und schon am ersten Vorverkaufstag einen 20er Block absahnt – Für die Viennale muss man dankbar sein.

Die fleißigen (und hoffentlich entsprechend entlohnten) Organisatoren des großen Wiener Filmfests haben auch in diesem Jahr wieder einen tollen Job gemacht. Gerade für die Außendarstellung sind natürlich Namen wie Patti Smith, Kenneth Lonergan oder Luc Dardenne Gold wert. Trotz alledem hätte die Viennale für mich persönlich aber ein fürchterliches Fiasko werden können. Was wäre etwa gewesen wenn ich mit überragender Treffgenauigkeit genau jene der 300 Filme rausgepickt hätte, die mir so überhaupt nicht bekommen? Wäre es dann eine schlechte Viennale? Eigentlich nein, für mich persönlich aber schon.

Die richtige Frage und das dürfen sich alle, die nächstes Jahr wieder mein Fazit hören möchten, schon mal merken, lautet daher: “Hattest du Glück?” Und die extrem befriedigende Antwort in diesem Jahr: “Ja, verdammt!”. Meine Haltung zum Filmjahrgang 2016 dürfte so stark von der Viennale beeinflusst werden, wie schon sehr lange nicht mehr. Das hat natürlich damit zu tun, dass mich vor dem Oktober noch kaum etwas im Kino so richtig umgehauen hat. Auch da würde ich nicht zwangsläufig von einem schlechten Jahr reden, womöglich bin ich einfach patschert an den Perlen vorbeigeschwommen.

You have to løve L’Avenir

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Alles was kommt (fr.: L’Avenir), © Viennale

Dann kommt die Viennale und plötzlich sehe ich meine Kino- und Filmeuphorie wiederbelebt, was ich insbesondere vier Filmen zuschreiben möchte. Über einen davon – er trägt im Original den Titel L’Avenir und läuft aktuell als Alles was kommt in ein paar wenigen österreichischen Kinos – wird sich mein Umfeld noch besonders lange Lobpreisungen anhören müssen. Mia Hansen-Løve’s ungemein schöne, bittersüße Charakterstudie hat sich aber tatsächlich jeden meiner Superlative verdient. Man kann gar nicht zu jung sein, um sich in Isabelle Huppert’s Figur zu verlieben, so charismatisch wird diese von der Grande Dame des französischen Kinos verkörpert. Irgendwo dazwischen oder allerspätestens am Ende muss man fast weinen, selbst wenn einen der Film nie direkt dazu auffordert.

Alle Aufmerksamkeit, die L’Avenir leider international nicht zu erhalten scheint (auf Rotten Tomatoes steht zwar nach wie vor ein 100er, die magere Zahl von 41 Kritiken zeigt aber auf, dass der Film übersehen wird), dürfte offensichtlich Victoria geschenkt werden. Als winziges Projekt gestartet ist Justine Triets fantastische Liebeskomödie zu einem der größten französischen Kinoerfolge der letzten Jahre arriviert. Das ist auch kaum verwunderlich, schließlich spricht die Liebesgeschichte über eine Anwältin und einem ehemaligen Klienten ein breites Publikum an. Der Mainstream ist bei der Rom-Com ohnehin meistens dabei, aber auch der anspruchsvollere Zuseher hat hier viel zu entdecken.

Auf eine Entdeckungsreise zum eigenen Ich gehen auch zwei jugendliche Burschen in André Téchiné’s Film Quand on a 17 ans. Die Erkenntnis der eigenen Homosexualität reift beim einen etwas schneller als beim anderen, was freilich nur durch sinnliches Wrestling auf der Blutwiese geklärt werden kann. Steht auch die Körperlichkeit klar im Fokus, so gibt es dank dem Drehbuch von Genie Céline Sciamma dahinter noch genügend zu ergründen.

Anders als die drei bisher genannten Filme wird Escapes von Michael Almereyda wohl im schwarzen Viennale-Loch verloren gehen und für die meisten Leute nicht mehr zu sehen sein. Das ist außerordentlich schade, denn die Dokumentation über Hampton Fancher, dem früheren Nebendarsteller und Haupt-Drehbuchautoren von Blade Runner, ist ein gelungenes filmisches Experiment. Virtuos werden die witzigen Lebenserzählungen Fanchers durch Szenen seiner Rollen konterkariert. In dem episodisch erzählten Film gibt es aber auch Minuten lange Sequenzen, in denen Almereyda auf die Fähigkeit zum schnellen Lesen bei seinem Publikum vertraut. Wie kaum eine andere passt sich diese Doku in der Machart an ihre Thematik an und schafft es obendrein noch, eine Phlip K. Dick würdige Frage über alternative Realitäten in den Raum zu stellen.

Lobeshymnen in der Dauerschleife

Elle, © Viennale

Es war also eine außerordentlich gute Viennale, das kann ich ganz fröhlich berichten. Denn entscheidend sind aus meiner Sicht weder die schlimmen Ausreißer nach unten, von denen ich auch ein paar erwischt habe, noch ein irgendwie bemessener Durchschnitt. Wenn das Festival Wien wieder verlässt und ich danach vier Filme mehr gesehen hab, die ich noch lange in guter Erinnerung behalten werde, dann gibt’s nichts zu jammern. Und außerdem gibt’s ja noch Elle von Paul Verhoeven, dem ich immer noch zutraue, mich bei einem zweiten Sehen so richtig zu überwältigen. Auch Arrival von Denis Villeneuve wird mir noch lange in Erinnerung bleiben, selbst wenn ich bis in alle Ewigkeit den Kopf darüber schütteln werde, wie viel Potenzial da durch kleine Dummheiten in den Wind geblasen wurde.

Achja und dann wär da noch… Nix da, Schluss jetzt, aus und vorbei. Die Viennale 2016 ist dahin, die Filme aber leben weiter. Über einige davon wird man sich in meinem Umkreis noch lange was anhören müssen. Und du, lieber Leser, gehst jetzt brav ins Kino, um L’Avenir zu schauen.

Michael Verfasst von:

Autor, Editor, Public Relations Michael ist der Arthouse Hipster des Teams, dessen Korrektheit und ruhige Art dafür sorgen, dass die Diskussionen immer fair bleiben und Beleidigungen nur zulässt, wenn sie mit Fakten belegt werden können.

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