Made out of glue – Viennale-Filme, die bleiben

Welche Filme im Gedächtnis bleiben und warum.

Es soll ja Menschen mit ungeheuren Gedächtnisleistungen geben, gerade in Bezug auf die Leinwandwelt. Da können auch Jahre oder gar Jahrzehnte nach der ursprünglichen Sichtung die unnötigsten Details der Handlung wiedergegeben werden. Dialogfetzen werden nur so aus dem Ärmel geschüttelt und Querverweise auf andere vermeintlich vergessene Filmschätze sind nur eine kurze Denkaufgabe entfernt.

Ich gehöre nicht dazu.

Für das cineastische Durchschnittsgedächtnis ist eine prall gefüllte Viennale ein großes Filtern. Denn einige Filmsaisonen später sind viele der – je nach Jahr – 20 bis 40 gesichteten Filme weitestgehend aus der Erinnerung verschwunden. Um doch zu bleiben gibt es, ganz allgemein gesprochen, zwei verschiedene Ansätze: Qualität und Glück.

Blutige Erinnerungen

Voller Blut und vielleicht der beste Film der diesjährigen Viennale: Grave. (© Viennale)

Ein Blick auf die Viennale-Karten des Vorjahres lässt mich etwa recht schnell wieder ins Schwärmen geraten, ob der schieren Brillanz von Filmen wie L’ Avenir, Escapes oder Quand on a 17 ans. Bezogen auf diese Saison sehe ich keine Chance, dass Grave aus meinem Filmgedächtnis verschwinden könnte. Julia Ducournaus Debütfilm ist ein blutiger, visuell herausragender Coming-of-Age mit starkem symbolischen Tiefgang. Es ist eine energische Wucht von Film, die ich schlichtweg nicht vergessen werde.

Auf einer Euphorie-Stufe knapp darunter landen bei mir unter anderem 120 battements par minuteThree Billboards Outside Ebbing, Missouri und The Shape of Water. Die beiden letztgenannten wären freilich gar nicht von ihrer Qualität abhängig. Denn die Dynamik der Oscarsaison hat auch subjektiv gesehen weitaus schwächere Viennale-Einträge wie The Artist oder Birdman vor dem persönlichen Vergessen gerettet. Ein Frontrunner bleibt automatisch im Gedächtnis, ob ich will oder nicht. In anderen Fällen ist es ein kurioses, kreatives Detail, das sich ins Hirn brennt. Der vergnügliche Patti Cake$ wird sich wohl in Form eines Ohrwurms – PBNJ, P-PBNJ – noch öfter bei mir melden.

Wut vergisst man nicht

Auf der Viennale fast schon übertrieben gefeiert und doch absolut großartig: Frances McDormand in Three Billboards Outside Ebbing, Missouri (© Viennale)

Manchmal bedarf es aber eben auch einer Portion Glück. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Umstände des Filmsehens das eigentliche Produkt aufwerten oder zumindest im Gedächtnis verankern. Bei mir persönlich sind es etwa die jährlichen Viennale-Ausflüge mit der Familie, die einen Film nahezu unangreifbar machen. Woody Allens Wonder Wheel habe ich als ermüdende Collage seines eigenen Werkes empfunden, dank Mama und Papa wird er mir aber zwangsläufig in Erinnerung bleiben. Und wie könnte ich jemals das selige Dahinschlummern meiner Verlobten beim narrativ äußerst unbefriedigenden The White Girl vergessen?

Gelegentlich kommt es sogar vor, dass gerade jenes hängen bleibt, das einem gar nicht gefallen hat. Unsere Wutausbrüche während und nach dem Schauen von What Our Fathers Did: A Nazi Legacy verleihen diesem moralisch verwerflichen Schrottfilm leider absolute Vergessens-Immunität.

Einen solchen Fall kann ich heuer aber noch nicht berichten. Wenn ich in zwölf, 24 oder 240 Monaten meine V17-Karten durchstöbere, werde ich stattdessen meine Euphorie für Grave wiederbelebt sehen, ein Tränchen für 120 battements par minute verdrücken, wieder über Three Billboards nachdenken, mich mit einem Schmunzeln an Patti Cake$ erinnern, und sowieso…

Noch mehr Viennale Berichterstattung?

Alle unsere Artikel zur Viennale findest du hier.

Michael Verfasst von:

Autor, Editor, Public Relations Michael ist der Arthouse Hipster des Teams, dessen Korrektheit und ruhige Art dafür sorgen, dass die Diskussionen immer fair bleiben und Beleidigungen nur zulässt, wenn sie mit Fakten belegt werden können.

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert