Lady Macbeth

Kein Respekt für den Sir.

Es gibt Filme, die am Puls der Zeit sind, weil sie sich mit voller Entschlossenheit auf hochaktuelle Themen werfen und eben jene sozialen Räume beleuchten, in denen diese präsent sind. Und dann gibt es noch Lady Macbeth, der im ländlichen Großbritannien des 19. Jahrhunderts angesiedelt ist, sich von einer 150 Jahre alten russischen Novelle inspirieren lässt, deren Titel wiederum an ein Shakespeare-Stück des frühen 17. Jahrhunderts anspielt.

Pointiert und modern ist William Oldroyds Film dennoch von Anfang an. Es dauert nur wenige Minuten, ehe sich die frisch zwangsverheiratete Katherine (Florence Pugh) ihrem ungeliebten Ehemann Alexander (Paul Hilton) sexuell zur Verfügung stellen muss. Allzu viel Liebesspiel scheint beim Landlord aber nicht drin zu sein – die junge Frau muss sich mit dem Gesicht zur Wand stellen und warten, bis der gute Herr fertig masturbiert hat. Der Bezug zur Gegenwart ist angesichts aktueller Debatten über das Ausnützen von Machtverhältnissen unübersehbar. Umso deutlicher wird dies angesichts Alexanders Vater Boris (Christopher Frank), der wiederum seinen Sohn in der versammelten Herrenrunde gerne mal bloßstellt.

Ohne Musik im fast geräumten Möbelhaus

Die Suche nach dem schnellsten Weg aus der Unschuld: Florence Pugh in Lady Macbeth © Polyfilm

Doch schon in dieser frühen Szenerie lassen sich in Katherines Gesicht feine Details ablesen, die der klassischen Opferrolle widersprechen. Keinesfalls Zufriedenheit, aber wesentlich mehr Langeweile als echtes Leid oder große Angst liegen in ihrer Mimik. Von der weitestgehend unbewegten, aber ungemein präzisen Kamera wird das Landhaus fortan als goldener Käfig inszeniert. Die einzelnen Möbelstücke deuten gemeinsam mit Katherines prachtvollen Kleid großen Prunk an, werden aber konsequent als Oasen in trostlosen Räumen bloßgestellt. Der Schauplatz des Kammerspiels erinnert meist mehr an ein teures Möbelhaus am letzten Tag vor der Schließung als an ein viktorianisches Landschloss. Wie leer sich die Szenerie gerade auch für die Hauptfigur anfühlt, lässt sich auch am Sounddesign erkennen. Das Schnüren des Korsetts ist nicht zuletzt dank des vollständigen Verzichts auf Musik raumfüllend, jeder Schritt am Parkett hallt über die Wände.

Als umso befreiender stellt Oldroyd die Affäre Katherines mit dem Angestellten Sebastian dar. Wo der Ehemann oft einen ganzen Raum von ihr entfernt war, kleben nun die beiden nackten Menschenkörper scheinbar unzertrennlich aneinander. Dass sich diese verbotene Liebschaft so unheimlich richtig anfühlt, macht die Erotik dieses Filmes aus, die karg authentische Tongestaltung tut ihr übriges. Selten wurde Geschlechtsverkehr im 19. Jahrhundert so anziehend inszeniert wie in Lady Macbeth.

Bettquietschen auf Kosten der Angestellten

Kann nicht mal im Blick der zugeschriebenen Autorität gerecht werden: Paul Walker in Lady Macbeth – © Polyfilm

Das quietschende Bett, theoretisch ein zu viel Aufmerksamkeit erregendes Unding, wird von den Protagonisten geradezu zelebriert und somit als Symbol für die empfundene Unantastbarkeit inszeniert. Im Grunde ist es Katherines Selbstsicherheit, und hier lässt das Drehbuch von Alice Birch geschickt eine zusätzliche Bedeutungsebene einziehen, ein Ausdruck der Überlegenheit gegenüber den hilflosen Angestellten – bzw. vor allem gegenüber dem dunkelhäutigen Hausmädchen Anna (Naomi Ackie). Wie in einer endlosen Spirale von Machterlangen und Machtmissbrauch wird ausgerechnet jene, die in der Nahrungskette ohnehin ganz unten steht, sukzessive mundtot gemacht und so schließlich zur hoffnungslosen Wertlosigkeit verdammt. Auch hier versteht sich der Gegenwartsbezug fast von allein.

Birchs Drehbuch ist irrsinnig clever, Oldroyds Regie ist minimalistisch, präzise und überraschend vielschichtig. Und doch könnte dieser wunderbare Film höchstens halb so gut funktionieren, würde Florence Pugh nicht eine der herausragenden Darstellungen dieses Jahrgangs vorlegen. Wie sie spielend und schnell den Übergang von der Opferrolle zur arrogant gelangweilten Narzisstin schafft, ist schlichtweg großes Kino – vom selbstgefälligen Lächeln, mit dem sie die neueste Demütigung Annas kommentiert bis hin zu den verschiedenen Abstufungen tiefen Abschaums, die sie in ihr “Sir” legt, wenn sie Ehemann oder Schwiegervater erträgt.

Fazit (Michael):

Sehr Gut (4 von 5)

Lady Macbeth ist eine extrem clever konzipierte Adaption mit pointierten Hinweisen auf die Gegenwart. Dank einer präzise minimalistischen, nicht zuletzt erotischen Inszenierung und einer Bombenperformance von Florence Pugh ist der Film einer der größten Geheimtipps des Jahres.

 

Michael Verfasst von:

Autor, Editor, Public Relations Michael ist der Arthouse Hipster des Teams, dessen Korrektheit und ruhige Art dafür sorgen, dass die Diskussionen immer fair bleiben und Beleidigungen nur zulässt, wenn sie mit Fakten belegt werden können.

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